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Interview mit Horst Krumpen (FDP) vom 24. Oktober 2006

Jakub Marzec (JM): Wir wollten mit dem Begriff „multikulturelle Gesellschaft beginnen. Was verstehen Sie unter diesem Begriff, welche Eigenschaften hat „multikulturelle Gesellschaft“?

Horst Krumpen (HK): Mehrere, unterschiedliche Kulturen, die in einer Gesellschaft versuchen miteinander zu leben und zu agieren. Mittlerweile ist schon das Schimpfwort in Deutschland. Multikulturelle Gesellschaft gilt in vielen Kreisen als gescheitert und der Begriff ist heute negativ besetzt, so würde ich das politisch interpretieren. Viele sagen, dass die multikulturelle Gesellschaft vor Jahren schon weiter war als heute. Mittlerweile haben wir gerade hier in Berlin die Situation, dass die verschiedenen Kulturen nicht mehr versuchen, miteinander zu leben, sondern nebeneinander. Es entstanden Paralellgesellschaften, die auch durch die Idee der multikulturellen Gesellschaft gefördert wurden.
Wenn jemand aus der Türkei nach Deutschland kommt und kein Wort spricht, dann hat er früher irgendwann zumindest Deutsch lernen müssen. Ohne Sprachkenntnis kann er nicht zum Amt gehen oder sich eine Fahrkarte kaufen. Mittlerweile auch durch die Politik der Grünen kann man diese Entwicklung so und so sehen. Ein anderes Beispiel: Wenn Sie im Kreuzberg leben, müssen Sie kein Deutsch mehr können. Sie können in jedem Geschäft auf Türkisch einkaufen. Teilweise haben Sie Schwierigkeiten, wenn Sie als Deutscher dahin kommen und sie wollen Deutsch sprechen. Ich habe damit kein Problem, aber die Dinge haben sich verändert. Wenn Sie in bestimmten Teilen Berlins leben, können Sie zum Amt gehen. Sie kriegen alle Formulare auf Türkisch , Sie finden Wegweiser in der türkischen Sprache. Sie müssen kein Deutsch sprechen. Ich stelle mir die Nummer vor. Sie würden als Deutscher irgendwo in Polen leben oder z.B. in Schweden, jeder würde herzlich willkommen, aber wenn Sie da wirklich leben wollen oder für längere Zeit dort leben wollen, ist das Lernen der Sprache unumgänglich. Sie werden nicht überleben. Sie müssten einen Dolmetscher nehmen, der alles übersetzen wurde. Aber wenn ein normaler arbeitender Mensch irgendwo hinkommt, muss er die Sprache lernen, um zu „überleben“. Auch wenn Sie aus Polen nach Deutschland kommen und Sie laufen durch die Stadt und Sie wollen irgendwo hin, sie müssen auf Deutsch fragen können.
Das ist Entwicklung, die ich persönlich sehr kritisch sehe. Multikulturelle Gesellschaft als Begriff ist zwar richtig, wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, wir leben auch in einer Gesellschaft, in der Zuwanderung und Einwanderung normal ist. Multikulturelle Gesellschaft als politischer Begriff, würde ich sagen, ist heute linkslastig besetzt und gilt in manchen Kreisen als negativ besetzt.

JM: Können Sie diese Gruppen nennen, wo dieser Begriff diskreditiert ist, sind das die Kreise der Rechtsextremisten?

HK: Richtige Rechtsradikale verstehen den Begriff nicht in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes. Sie finden alles furchtbar, was von außen und fremd daherkommt. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die einfach frustriert und enttäuscht sind. Es gibt viele Menschen, die Verlierer des Systems sind und die nach irgendeiner Orientierung suchen. Wir haben in Berlin die Situation, dass in 5 Bezirken rechtsgerichtete Parteien, Rechtsnationale, um nicht zu sagen rechtsextreme Parteien, die auch auf dem Boden der Verfassung in Parlament sind. Die NPD, DVU, die Republikaner sind alles Gruppierungen, die ich in ein Topf werfe, weil es nur kleine Unterschiede gibt. Das sind Parteien, die von Angst vor multikultureller Gesellschaft profitieren, die mit dem Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ aber irgendwie nichts anfangen können. Wenn man sich die Struktur dieser Parteien mal anguckt, dann versuchen sie von Fremdenhass zu profitieren und es ist egal, woher dieser Fremde kommt, es ist egal, ob er Deutsch spricht oder nicht, es ist egal, ob er hier schon geboren wurde oder Bayerisch spricht. Das spielt überhaupt keine Rolle, er sieht aus wie ein Fremder. Es gibt hier in Berlin die Schwarzen, die Deutsch sprechen, die hier geboren sind, die auch hier aufgewachsen sind, die auch keine andere Sprache als Deutsch sprechen. Es gibt türkische Kinder, die nur Deutsch sprechen, aber wenn sie durch die Strasse kommen, sieht man, dass sie keine Deutsche sind. Das ist das, was diese Parteien ausnutzen.
Ich würde sagen, die Kreise, die Probleme mit dem Begriff der multikulturellen Gesellschaft haben, sind oft die Kreise derjenigen, die heute arbeitslos sind, oder das Gefühl haben: „da ist eine Gruppe, eine undefinierte Gruppe, der es besser als mir geht und eigentlich haben sie das nicht verdient, weil sie nicht von hier sind“. Das ist einfach das Gefühl. Sicherlich ist das auch, dass der Teil der Leuten mit geringerer „Ausbildung“ häufiger ein solches Gefühl hat , als die besser Ausgebildeten. Aber auch in Charlottenburg oder Wilmersdorf gibt es Menschen, die so denken. Also, in bestimmten bürgerlich-konservativen Kreisen ist dieses Denken auch verbreitet. Das ist ein latentes Gefühl.
Bevor ich nach Berlin kam, war ich Generalsekretär der FDP in Bayern. Bayern geht es wirtschaftlich gut, dort ist geringe Arbeitslosigkeit. Ich behaupte, es gibt in Bayern ein extrem hohes Potential an Fremdenfeindlichkeit, an latentem Rechtsextremismus. Wenn Sie nach Bamberg, Nürnberg kommen, finden Sie weniger Ausländer, weil sie in bestimmten Ghettos zusammengepackt sind.
Alles, was irgendwie nicht „normal ist“, alles was anders ist, ob jemand Schwule, Farbige oder Türke ist, das ist egal. Das Gefühl, die Einstellung dazu ist gleich. In Berlin kommt das nicht so stark zum Ausdruck. Die Ergebnisse der Rechtsextremisten sind in Berlin nicht so besorgnisserregend. Für mich persönlich ist es besser, wenn diese Parteien in den Parlamenten sitzen und da bekämpft werden können. Ausserhalb der Parlamente tun sie ihre Arbeit im Dunkel, und nur ist Offenheit lieber.
Ich glaube, dass im Moment dieser Begriff als politischer „Kampfbegriff“ verbraucht ist. Ich glaube, einer der größten Fehler in Deutschland war das, dass Deutschkurse nicht mehr als Pflicht und verbindlich durchgeführt wurden.

Marcin Janukowicz (MJ): Wie denken Sie, seit wann kann man die Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsland bezeichnen?

HK: Schon immer. Es war nie anders. Ich komme ursprünglich aus Köln… wenn Sie in das Ruhrgebiet gehen, dann treffen Sie ihre Vorfahren. Dann treffen Sie die Szymanskys und wie sie alle heißen. Die wurden als Arbeiter geholt, um da im Bergbau zu arbeiten, weil man nicht genügend Arbeiter hatte. Ja, es sind Deutsche nach Russland gegangen, um der Zarin zu helfen da irgendwas aufzubauen. Es sind Leute aus England und sonst irgendwoher hierher gekommen, weil sie sich politisch, religiös verfolgt fühlten. Also Deutschland war immer Zuwanderungsland und wann, wo fing denn Deutschland an. Etwa in der Zeit, als wir noch verschiedene Königsreiche hatten und ich weiß nicht wie viel Fürstentümer und unterschiedliche Grafschaften und als hier alle drei Kilometer eine Grenze war.
Deutschland war immer ein Zuwanderungsland. Deutschland ist einfach aufgrund seiner geographischen Lage und aufgrund der Situation zwischen verschiedenen anderen Ländern und Staaten in der Situation, dass es immer Zuwanderungen gab. Und dann, wenn ich wirklich frage, als das Königsreich Preußen noch existierte und jemand aus dem Badischen hierher kam, dann war er ein Zuwanderer. Er ist ja zugewandert aus dem Badischen hierher. Und wenn Sie so wollen, ist Berlin ein Melting Pot im Bereich der Zuwanderung. Berlin hatte in den zwanziger Jahren schon einen sehr starken Anteil an russischsprachiger Bevölkerung. Berlin war immer ein Anziehungspunkt auch für Ostblockstaaten. Berlin hat auch davon profitiert. Deutschland hat auch davon profitiert, dass wir Zuwanderung haben. Manche Ideen, manche Gedanken existieren nur, weil es Zuwanderungen gibt oder gab. Also von daher sage ich, Deutschland war und ist schon immer Zuwanderungsland und wird es auch immer bleiben. Es gibt Zeiten, in denen dies den Menschen gefällt und es gibt Zeiten, in denen gefällt es ihnen weniger. Und wenn wir uns die Zeit nach dem Krieg angucken, als Deutschland im Aufwuchs war, dann waren wir auch ein Zuwanderungsland.
Da kamen zu uns Gastarbeiter, wir haben sie alle hierher geholt. Und haben gesagt: „wir brauchen euch, ihr sollt hier arbeiten“. Dann wurde es ein bisschen schlechter, wir haben gesagt also, jetzt geht schon wieder nach Hause. Das funktioniert aber so nicht. Die Leute haben soziale Kontakte aufgebaut, sie haben soziale Bindungen aufgebaut, sie wollen dann aber nicht mehr weg. Heimat ist eben nicht nur da, wo ich geboren bin oder, wo meine Füße zum ersten Mal auf dem Boden standen, sondern Heimat ist eben auch da, wo die Freunde sind und wo soziale Bindungen sind und wo soziale Kontakte sind. Deswegen glaube ich, dass Deutschland immer Zuwanderungsland war, jetzt auch Zuwanderungsland ist und es auch bleiben wird. Wir haben uns nie darum bemüht, die Zuwanderung zu regeln. Wir haben uns nie darum bemüht zu sagen, es gibt eine gesetzliche Grundlage für die Regelung der Zuwanderung. Die FDP hat seit vielen Jahren gefordert, dass wir eine gesetzliche Zuwanderungsregelung bekommen. Weil ich damit auch Zuwanderung regulieren kann. Und das halte ich in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten für notwendig.
Wenn jemand an die Tür klopft und sagt „ich bin Elektriker“, dass hinter der Tür jemand sitzt und sagt den Elektriker brauche ich aber heute in Lübeck. Und den dann nach Lübeck schickt. Und nicht, dass der Elektriker über die Grenze kommt, wo immer er auch her kommt, und sagt ich will aber jetzt nach München ziehen, weil München eine schöne Stadt ist, nur in München brauche ich im Moment kein Elektriker. Oder er zieht, keine Ahnung, nach Greifswald, und stellt dann fest, die haben fünfunddreißig Prozent Arbeitslosigkeit. Weil er es nicht weiß. Weil er es nicht wissen kann.
Und für so was brauchen wir, meiner Meinung nach, eine geregelte Zuwanderung, ähnlich wie die Amerikaner es machen. Die sagen, wir brauchen bestimmte Berufsgruppen oder wir brauchen eine bestimmte Ausbildung, und wenn jemand diese Ausbildung hat, dann kommt er ins Land. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn wir das in Deutschland in der Form einführen würden, dann würden sich auch Menschen gezielter vorbereiten, wenn sie nach Deutschland wollen. Wir sagen, in den nächsten Jahren werden in Deutschland Altenpfleger gebraucht, dann werde ich Altenpfleger. Wenn ich aber nichts weiß, dann mache ich das, was ich in meinem Heimatland halt lernen kann oder machen kann und komme dann mit diesen Erfahrungen und dieser Ausbildung, hierher und stelle dann fest, es ist schwierig. Deswegen glaube ich, wir brauchen eine geregelte Zuwanderung. Aber Zuwanderung werden wir immer haben und wir wollen das auch!

Dr. Mariusz Kozerski (MK): Sie haben erwähnt, dass Deutschland immer ein Zuwanderungsland war. Ich meine, dass nach dem zweiten Weltkrieg, eigentlich nach 1949, Prozesse der Zuwanderung bestimmt mehr sichtbar waren. Ich denke hier an Türken, Personen aus ehemaliger Jugoslawien, die sind in großen Zahlen nach Westdeutschland gekommen, und wir sind beide wahrscheinlich der Meinung, dass diese Prozesse noch sichtbarer eben nach dem Zweiten Weltkrieg waren…

HK: Das ist sicher richtig, aber ich meine, ich will darauf hinweisen, um diese Behauptung zu untermauern, oder zu verstehen, musste man sich Zahlen angucken - Zahlen aus der Zuwanderungswelle beispielsweise ins Ruhregebiet, und dann sich angucken, wie waren diese Zahlen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Sie waren aber natürlich in einem anderen Verhältnis zur Gesamtbevölkerung als heute.
Also das Migrationproblem oder Integrationsproblem der damaligen Zeit war, meiner Meinung nach, mindestens so groß, wie das, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg hatten. Man musste sich dann die empirischen Zahlen angucken, und sagen wie viele Menschen lebten in dieser Region, und wie viele Arbeiter wurden dahin geholt, um eine Einschätzung geben zu können, wie waren die sozialen Probleme und wo waren die Probleme. Ich glaube, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg und im Zuge der Wiederindustrialisierung, so würde ich das mal nennen, viele Ausländer hierher geholt haben, aber eben auch in bestimmte Regionen. Und in diesen Regionen in bestimmte Ghettos. Und das Empfinden der Leute hier war nicht so, dass sie gesagt haben, wir holen uns Zuwanderer, sondern das Empfinden war, wir haben ein kurzfristiges temporäres Problem in der Produktion, und für dieses Produktionsproblem brauchen wir jemanden. Diese Seite des Vorhangs war zu. Es konnte also niemand auf den traditionellen Wegen, sage ich jetzt mal, aus Polen, aus der Tschechoslowakei, aus Ostdeutschland, wo auch immer, konnte niemand geholt werden, weil da die Mauer war.
Also musste man sich zum ersten Mal in eine Richtung orientieren, wo die Menschen anders aussehen als wir. Und das macht’s vielleicht auch noch mal ein bisschen deutlicher, das Integrations- und Zuwanderungsproblem als wir es in der Vergangenheit in Deutschland immer hatten, weil zum ersten Mal kamen beispielsweise Türken hierher. Wo ja viele sagen, das ist ganz andere Kultur, ganz andere Welt. Es stimmt ja auch. Aber da sage ich mal, da wurden Probleme der Integration auch deutlich.
Da waren dann auch andere Kultur - andere Essgewohnheiten, andere Einstellung zum Beten und zur Religion. Und das waren natürlich die Dinge, die waren vorher bei jemandem der aus Polen nach Deutschland kam, nicht so gravierend. Die meisten Polen sind christlich. Wir gehen in die gleiche Kirche, der Pole sieht auch nicht viel anders aus, der hat beispielsweise keine schwarzen Haare, und kommt nicht irgendwie gekleidet und „riecht nach Knoblauch“ und wirft sich auf den Teppich und betet, sondern der geht wie alle anderen Menschen auch gesittet mit dem Anzug zur Kirche am Sonntag. Also das sind schon so Probleme, die wir dann, glaube ich, hatten, die da deutlich wurden, weil da hier auch wirklich unterschiedliche Kulturen aufeinander trafen. Und das ist, glaube ich, auch ein Unterschied, die Zuwanderung, die wir vorher hatten, die war unserem Kulturkreis ähnlich, und die Zuwanderung, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, war in einem deutlich stärken Masse unserem Kulturkreis nicht ähnlich. Und da, glaube ich, sind die ersten Probleme entstanden. Weil hier dann wirklich Kulturen völlig unterschiedlicher Prägung aufeinander kamen. Und ich es noch äußerlich sofort erkennen kann.

JM: Könnten Sie diese Probleme nennen?

HK: Sie haben ein sprachliches Problem, weil deren Sprache nicht unserem Sprachstamm entspricht. Sie haben das Problem der Optik. Es gab nicht so viele Italiener, Jugoslawer und Menschen anderer Herkunft, die dann plötzlich auftauchten. Das ist sicherlich ein Problem. Es trafen unterschiedliche Kulturen bei der Frage der Religion aufeinander. Was heute in Berlin keine Rolle spielt, was es aber damals im Rheinland und Ruhrgebiet, in Wolfsburg, ein Problem. Wolfsburg ist eine Kleinstadt, wenn da plötzlich Menschen kommen, die Teppiche ausrollen und sich fünf mal am Tag hinknien. Das war schon merkwürdig. Es kommen andere Essgewohnheiten. Es kommen andere Verhaltensmuster. Also das sind schon Probleme, die sich dann eben ergeben. Da ist ein großer Wohnblock, und hier wohnen Menschen, die traditionell schon immer hier gewohnt haben und schon seit dreißig Jahren da wohnen, und plötzlich wohnen nebenan Menschen aus einer anderer Kultur .

MK: War die BRD darauf vorbereitet?

HK: Nein. Es hat sich auch niemand, glaube ich, in der politischen Situation damals Gedanken darüber gemacht.

MK: Diese Leute sind nach Deutschland angekommen, weil die BRD Arbeitskräfte brauchte. Und Westdeutschland war darauf nicht vorbereitet?

HK: Nicht ganz, also es gab, meiner Einschätzung nach, keinerlei Vorbereitung. Ich meine, man muss sich einfach die Situation vorstellen, man kann es nicht heute vergleichen. Das war in der Zeit, in der, ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, jemand, der geschieden war, das war ein Aussätziger. Ich habe das noch erlebt, dass mein Onkel, mein Onkel war evangelisch, meine Tante war katholisch. Und der evangelische Onkel ging in die katholische Kirche, weil seine Tochter getauft wurde. Da kam der Pfarrer aus, von der Kanzel und sagte „Sie sind evangelisch!“, „raus“ musste als Evangelischer aus der katholische Kirche. Und wir sprechen von Leuten, die im gleichen Dorf leben, die da geboren sind, und das war eine ganz andere Zeit. Und in dieser Situation taucht dann in einer Kleinstadt, wie Wolfsburg, plötzlich einpaarhundert Arbeiter auf, die alle irgendwie anders waren. Also man muss es, denke ich, mal in der Zeit sehen. Und da hat sich niemand von denen, die die Arbeiter geholt haben, ernsthaft Gedanken gemacht.
Die haben sich überlegt klar, da kommen jetzt die fünfhundert Arbeiter, für die brauchst du fünfhundert Zimmer, und die brauchen auch ein Bett und die brauchen da Arbeitsgelegenheit, das war alles richtig, da hat man sich darum gekümmert, aber was danach kam, soziale Verwerfung oder soziale Bindungen oder Kontakte, darüber hat niemand nachgedacht.

MJ: Und wie denken Sie, kann man die multikulturelle Gesellschaft als Gefahr oder eher als die Bereicherung betrachten?

HK: Ich glaube, dass es eine Bereicherung ist. Also ich glaube, dass das Zusammenleben verschiedener Kulturen, wenn es nicht nebeneinander sondern miteinander passiert, da sieht man im Moment einen ziemlichen Trend, wenn es miteinander passiert, ist es eine Bereicherung. Wenn es nebeneinander passiert, ist es gefährlich. Dann entstehen soziale Verwerfungen. Dann entstehen viele Probleme, die schwer zu lösen sind. Ich glaube, dass multikulturelle Gesellschaft, so wie sie eigentlich gedacht ist oder gemeint ist, nämlich, dass Menschen verschiedener Kulturen miteinander im Austausch sind und miteinander leben, das ist für unsere Gesellschaft eine Bereicherung.

JM: Also, Ihrer Meinung nach, ist Integration der Kulturen gescheitert oder gelungen?

HK: Weder noch. Es ist ein Gebiet über das wir sprechen, da gibt’s kein Schwarz und Weiss. Das ist zu einfach zu sagen - es ist gescheitert, oder es ist gelungen. Ich könnte Ihnen jetzt eine ganze Reihe von Beispiele nennen, wo Integration hervorragend funktioniert hat. Hier, drehen Sie sich rum, unsere Mitarbeiterin - Frau G. Bei ihr, würde ich sagen, ist sie gelungen und funktioniert. Aber ich könnte Ihnen auch bestimmte Beispiele nennen, wo sie nicht geklappt hat. Wenn Sie durch Kreuzberg gehen, werden Sie sehen, Menschen seit vierzig Jahren hier in Deutschland leben und kein Deutsch sprechen, und auch nicht an dieser Gesellschaft teilnehmen, überhaupt nicht Teil dieser Gesellschaft sind. Sie leben zwar hier und sie essen auch vielleicht die gleichen Produkte wie wir, aber sie sind nicht wirklich Teil dieser Gesellschaft. Und wenn wir bei dem Beispiel bleiben, Frau G. nimmt an dem gesellschaftlichen Leben teil, hat Freunde, sie geht hier in Kulturveranstaltungen, oder was auch immer, da will ich sagen, ist Integration gelungen, also es gibt für beide Seiten, positive wie negative Beispiele. Ich glaube, dass es ein ständiges Prozess ist.
Und es gibt keine Momentaufnahme, an der man sagen kann, prima, es hat gut funktioniert, so müssen wir weiter machen eben, oder an der man sagen kann es hat nicht funktioniert. Und jetzt das Beispiel Rütli-Schule, ich weiß nicht, ob das für Sie ein Begriff ist. Hier in Berlin konnte man als Beispiel nennen, es hat nicht funktioniert. Man konnte aber auch sagen, die Rütli-Schule mit einem hohen Migrantenanteil ist ein Beispiel dafür, dass es nicht mehr reicht, Kindern keine Perspektive zu bieten. Egal, ob sie Migranten sind oder Deutsche.
Es reicht eben nicht mehr zu sagen „macht mal schön die Hauptschule, danach kriegst keine Arbeit“ und dann noch darauf hoffen, dass die sich noch in eine Gesellschaft integrieren. Die Frage von Integration, die stellen wir heute schon zwischen Deutschen. Es gibt auch immer mehr Deutsche, die nicht mehr Teil der Gesellschaft sind und nicht mehr in die Gesellschaft hineinfinden. Die neuen sozialen Unterschichten, wie immer Sie diese nennen wollen. Also ich glaube, dass es ein ständiges Prozess ist, und ich glaube, dass man in diesem Prozess mal mehr und mal weniger Fehler gemacht hat. Aber das ist wie bei der Kindererziehung. Sie machen immer Fehler. Und diese Fehler stellen Sie erst nach zwanzig Jahren fest. Nach zwanzig Jahren denken Sie sich „mein Gott, hätte ich doch dieses oder jenes…, und wenn ich nun das gewusst hätte, dass…“ - nachher sind Sie immer schlauer.

MK: Welche andere Fehler wurden begangen? Wer ist für die Entstehung dieser Probleme verantwortlich?

HK: Also gut, ich glaube, dass wir, wenn wir jetzt bei der politischen Bewertung sind und bei der Frage politischer Fehler, würde ich sagen, dass alle Regierungen, auch die Regierungen unter FDP Beteiligung, auch wir haben unseren Anteil daran, Fehler gemacht zu haben, dass wir diesen Problemen zu wenig Bedeutung beigemessen haben, dass man auf der Bundesebene immer wieder gesagt hat, na ja, das irgendwie funktioniert schon, was ja auch über Jahre hinweg funktioniert hat. Es kam ja nicht zur sozialen Unruhen. Wie in Frankreich brennende Wohnviertel und ähnliches, ist ja nie passiert, von daher hat es ja funktioniert, und wenn da mal einer ums Leben kommt, denkt man, das passiert. Aber ich glaube bei der politischen Bewertung hier, man hat den Fehler gemacht, dass man zu wenig echte Angebote gemacht hat, das fängt mit der Sprache an, es wird zu wenig Wert gelegt auf der Integration im Bereich der Sprache, es wurde zu wenig Wert gelegt auf den Austausch zwischen Kulturen, was die Religion angeht, über Jahren hinweg sind hier Ängste entstanden vor dem muslimischen Glauben, die völlig unbegründet sind. Wir haben einfach schlicht und ergreifend von der politischen Seite her den Kulturaustausch nicht gefordert, wir haben nicht versucht die andere Kultur zu verstehen. Politisch gesehen würde ich behaupten, dass wir über Jahrzehnte hinweg versucht haben zu sagen, wer hierher kommt, der muss so sein wie wir, so denken wir ja auch heute noch. Wenn wir ins Ausland fahren, wenn man nach Mallorca fliegt, dann muss ein Wienerschnitzel geben, man muss Deutsch sprechen. Und so haben wir eben auch mit diesen Menschen „gearbeitet“. Wir haben gesagt, wenn die nach Deutschland kommen, dann sollen sie Deutsch lernen, wenn die hier arbeiten wollen, sollen sie unsere Gesetze beherrschen. Und dabei sind eben Räume entstanden, wo Leute gesagt haben, wir können aber auch daneben existieren. Wir können aber auch mit unserer Sprache existieren, und selbst wenn es in der ganzen Familie nur einen gibt, der Deutsch spricht, wir kommen über die Runden, wir schaffen das. Das haben wir, glaube ich, zu wenig berücksichtigt und da waren auch zu wenig Angebote, und im Zuge des Streichen von Sozialleistungen, hat man natürlich auch in diesem Bereich extrem gekürzt. Das war, finde ich, ein Fehler. Ich glaube wir müssen in dem Bereich einfach gucken, dass der Dialog der Kulturen stärker gefordert wird, dass der Austausch zwischen den Kulturen stärker stattfindet, und dass man auch die extremen Auswüchse, wie ich sie jetzt mal beschrieben habe mit Straßenschildern in entsprechender Sprache - das muss verschwinden. Wer in Deutschland leben will, muss die Bereitschaft haben die deutsche Sprache zu lernen und er muss die Bereitschaft haben, sich mit dem System, in dem er lebt, in irgendeiner Form auseinanderzusetzen. Das ist die Erwartung, die ich an die Immigranten habe, und die müssen sie genauso erfüllen, wie wir unseren Teil erfüllen müssen, nämlich, dass wir uns darum kümmern, dass sie ein Angebot haben für Sprachkurse, für die Integration, für Kulturaustausch. Das wir einfach einen Austausch nicht im Sinne von einer Angleichung, sondern im Sinne von einem gegenseitigen Respekt, Achtung voreinander, fördern. Da hat die Politik versagt. Auch in Berlin. Obwohl ich glaube, dass die Berliner Politik im Vergleich zu anderen Ländern schon deutlich weiter und besser damit umgeht. Aber insgesamt würde ich die Situation im Moment so bewerten, dass ich sage, es ist ein Prozess und im Moment ist eine Stelle erreicht, wo man wieder mal die Schrauben einwenig verändern sollte.

JM: Was denken Sie ist die Wiedervereinigung eine Zäsur für Weiterentwicklung der multikulturellen Gesellschaft oder das ist immer ständiges Prozess seit Jahren?

HK: Ich glaube, dass es im Bezug auf multikulturelle Gesellschaft keine Zäsur ist. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass es eine Zäsur in dem Punkt ist, dass es eben wirtschaftliche Verschlechterung gibt. Und viele Menschen wirtschaftliche Verschlechterung automatisch mit dem Thema multikultureller Gesellschaft verbinden. Also viele haben den Kurzschluss im Kopf und sagen „nach dem Fall der Mauer wurde es wirtschaftlich schlechter, und obwohl es wirtschaftlich schlechter wurde, kamen immer mehr Ausländer“. Was überhaupt nicht stimmt. Anhand der Zahlen können wir belegen, dass es nicht stimmt. Es ist nicht so, dass Deutschland mehr Ausländer aufgenommen hat in der Zeit, oder dass der Zuwachs irgendwie größer wurde. Und es ist erschreckend, dass es ausgerechnet in den Ländern, in denen der Ausländeranteil am niedrigsten ist, Mecklenburg-Vorpommern hat z. B. 1,9 Prozent Ausländer, der Hass gegen Ausländer am größten ist. Aber das sind auch die Länder mit den größten sozialen Problemen hinsichtlich Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskraft. Also es gibt ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftskraft, Arbeitslosigkeit und der Einstellung von Menschen gegenüber allem, was fremd ist. Und von daher ist schon eine Zäsur, aber es hat seine Ursachen nicht in der Wiedervereinigung. Also die Widervereinigung ist nicht so ein Punkt, wo ich sage, hier ist irgendwas passiert, was Auswirkungen auf die multikulturelle Gesellschaft direkt hatte, aber viele verbinden es damit, weil sie sagen, seit dieser Zeit geht es uns wirtschaftlich schlechter. Viele im Westen denken ja auch, dass es die Schuld des Ostens sei. Die Ostdeutschen sind die „Bösen“, die haben unsere Rentenversicherung „kaputt“ gemacht, was überhaupt nicht stimmt.

MJ: Werden unter den Immigranten bestimmte Präferenzen vertreten, die bei Wahlen zum Ausdruck kommen? Wie wählen die ausländischen Deutschen?

HK: Also ich könnte es mir jetzt ganz einfach machen und sagen, die wählen genauso gut und genauso schlecht wie die Deutschen. Genauso überlegt und unüberlegt. Nein, das ist schon so, dass es unter Immigranten verschiedene Gruppen gibt. Und erst die Letzteren sind dann ja homogen. Ich will damit sagen, wenn es gelingt, den Zugang zur Gruppe. der z. B. Russlanddeutschen zu finden, wo es da innerhalb der Russlanddeutschen noch mal zwei große Gruppen gibt, nämlich, die die ursprünglich Deutsche waren und deswegen nach Deutschland kommen und die, die eigentlich Rußen sind und trotzdem in Deutschland leben. Es sind noch mal zwei Gruppen, man muss lernen, dass diese noch mal in der Ansprache unterschiedlich sind. Wenn es aber beispielsweise gelingt eine solche Gruppe zu erschließen, dann wählen diese relativ homogen. Und für diese Gruppe ist es ganz wichtig, dass die auch Menschen ihres Kulturkreises als Galionsfiguren haben. Ähnlich ist es bei türkischstämmigen, aber jetzt eben deutschen Wählerinnen und Wählern zu beobachten. Oder Menschen islamischen Glaubens. Wir hatten eine Zusammenarbeit mit einer islamischen Föderation und da gab’s eine Veranstaltung. Zu deren kam eine unserer Kandidatinen und teilte Zettel aus und da stand drauf in deren Sprache, man solle die FDP wählen, was aber nicht von uns kam, sondern von dieser Organisation. Ob das im Ergebnis dann dazu führt, dass die wirklich so wählen, weißt ich nicht. Aber wenn man sich die Zahlen anguckt, dann ist es so, dass die, wie man sagt, die Ostimmigranten eine Affinität zu CDU haben. Erstaunlicherweise. Jedenfalls eine stärkere Affinität als zu den linken Parteien. Der Teil der türkischstämmigen Bevölkerung hat eine Affinität nach Links, zu SPD und Grünen. Was sicherlich auch damit zu tun hat, dass sie eben im Kreuzberg positive Erfahrungen mit SPD- und Grünenpolitiker gemacht haben. Aber eine weitere Spezifizierung, jetzt zu sagen die wählen anders als andere, sehe ich nicht. Also ich kenne eine ganze Reihe von beispielsweise Russlanddeutschen, die sagten „wozu soll ich überhaupt zur Wahlen gehen“. So wie eben auch Deutsche die sagen „warum soll ich zur Wahl gehen“. Der Anteil der Nichtwähler nimmt extrem zu. Das ist ein Problem für die Demokratie insgesamt.

JM: Es gibt ein Lied von der Gruppe Advenced Chemistry, das ist Hip-Hop-Band, und sie singen „…ein Ausländer und doch ein Fremder“. Finden Sie diese Wörter treffend?

MK: Das sind die „Afro – Deutschen“, die in Deutschland groß geworden sind. Sie haben viele Texte, die multikulturelle Gesellschaft betreffen, geschrieben. Finden Sie diese Wörter „Kein Ausländer und doch ein Fremder“ treffend?

HK: Ich finde sehr treffend, aber auch für Deutsche. Wissen Sie, wenn Sie aus Sachsen kommen, und beruflich nach Bayern gehen, werden Sie ein Fremder bleiben. Es ist so. Sie werden in Bayern im besten Fall zur Unterschicht oder zur Mittelschicht gehören dürfen. Ich habe im Bayern den Wahlkampf erlebt, dass eine Bürgermeisterkandidatin, die seit 25 Jahren in einem Dorf lebt, und jetzt Bürgermeisterin werden wollte, Schwierigkeiten hatte, weil die Leute gesagt haben „das ist eine Zugereiste, die ist ja nicht von hier“. Zugereiste, also eine Fremde. Die kommt nicht von hier, die gehört nicht zu uns. Ich selber habe 10 Jahren in Bayern gelebt, war Generellsekretär der FDP, als Mitglied der FDP darf man das, weil die immer ein bisschen anders sind, aber sie gehören da nicht dazu. Also von daher, Sie sind hier, Sie sprechen Deutsch, aber Sie bleiben ein Fremder, das gilt auch für Deutsche. Das gilt auch absolut für Deutsche. Und innerhalb der verschiedenen Gruppen ist das auch so, dass manche Wert darauf legen. Und wenn, Sie hier mit türkischen Kindern sprechen, die hier aufgewachsen sind, die hier geboren sind, die hier im Neuköllner Krankenhaus geboren wurden, die dann nie im Leben was anders gesprochen haben als Deutsch, dann werden die sich außerhalb von Neukölln, außerhalb ihres Kitzes, wie man hier in Berlin sagt, sicherlich auch als Fremder empfinden, im eigenen Land. Ich glaube das hat viel mit der persönlichen Einstellung zu tun. Und wenn jemand aus bestimmten Regionen Deutschlands kommt, dann wird er in bestimmten anderen Regionen ein Fremder bleiben und so würde ich das sehen auch mit Immigranten. Es gibt Leute, die da sich durchsetzen und sagen „ich mache das jetzt trotzdem“…. und was auf die Beine stellen und es gibt andere, die eben sensibler sind und damit Schwierigkeiten haben und dann auch darunter leiden.

JM: Wir haben noch Frage nach dem Programm der FDP. Also welche Maßnahmen, welche Lösungen, Ideen hat Ihre Partei zu diesem Problem, zum Problem Immigration, zur multikulturellen Gesellschaft?

HK: Ich könnte jetzt mir ganz einfach machen und sagen, das habe ich Ihnen alles gesagt. Letzten Endes geht es uns darum, dass wir sagen: wir brauchen, wir wollen ein Miteinander der Kulturen wir wollen, dass Deutschkurse verbindlich werden. Also wenn wir jetzt in den ganz konkreten Maßnamen sind, wir wollen ein verpflichtetes letztes Kindergartenjahr, weil wir sagen, nicht nur aber eben auch in den Jahren, gerade bei kleinen Kindern, werden die Grundlagen gelegt für die Fähigkeit der Sprache. Viele Probleme, die wir auch mit Kindern aus Einkindfamilien haben, soziale Probleme, wenn sie dann zum ersten Mal in der größeren Gruppe sitzen, und zum ersten Mal erleben, wie das so in der Schule ist. Deswegen sagen wir: ein verpflichtetes letztes Kindergartenjahr, weil wir damit einfach manche Probleme lösen könnten. Wir sind auch durchaus offen für eine verpflichtende Deutschprüfung für Schulkinder und auch für Immigranten.

JM: Geht es um diese Tests?

HK: Nein. Das ist ein Unterschied, ob ich für diese seltsamen Tests bin, wo dann drin steht, wer ist der Bundespräsident und wie heißt der Fluss, der dahinten um die Ecke kommt, oder ob ich sage es soll jemand Deutsch können. Das ist schon ein Unterschied. Für diese wunderbaren Tests finden Sie in der FDP bestimmt keine Anhänger. Ich würde mal diese Testbögen nehmen an ein deutsches Gymnasium gehen und sie da mal beantworten lassen. Und jeder, der dann zwei falschen Fragen hat, muss das Land verlassen oder wie? Weil nicht jeder deutsche Gymnasiast weißt, wie ein Gesetz entsteht, nicht jeder deutsche Gymnasiast weißt, wie der Bundestag funktioniert, oder wie unserer Bundespräsident heißt. Aber von dem türkischen Zuwanderer erwarte ich, dass er das kann? Ich halte diese Testidee für totalen Schwachsinn. Weil es läuft doch nicht anders, als wenn Sie eine Führerscheinprüfung machen. Sie werden 125 Testbögen in der Mappe irgendwo kaufen können und dann fangen Sie an, sie auswendig zu lernen und dann lernen Sie das auswendig und den hundertfünfundzwanzigsten Bogen können Sie dann nicht beantworten. Dann gehen Sie drei mal hin und bei drittem Mal haben Sie den Test bestanden. Ob Sie es dann verstanden haben, ob Sie das, was mit dem Test erreicht werden soll, nämlich Teil der Gesellschaft zu werden, ob das dann da ist? Ich habe da meine Zweifel. Also, wir können nicht nur fordern, sondern wir müssen denen auch ein Angebot machen, damit meine ich alle, die nach Deutschland kommen. Auf der politischen Ebene ist eben ein geregeltes Zuwanderungsgesetz notwendig. Ganz klare geregelte Zuwanderung ohne, dass wir die Frage von Asyl überhaupt an der Stelle berühren. Also, das ist vollkommen getrennt zu betrachten, die Frage, ob jemand Asyl in Deutschland bekommt, oder ob jemand als Zuwanderer kommt, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber sicherlich müssen wir auch an manchen Stellen uns überlegen, wie gehen wir also mit abgelehnten Asylanten um, wie gehen wir mit abgelehnten Asylbewerbern um, wann kriegt jemand eine Arbeitserlaubnis und wann nicht, ist es noch zeitgemäß Leute mit Essenspaketen zu versorgen, ist es noch zeitgemäß sie in irgendwelchen Heimen zusammenzupacken. Da habe ich so meine Schwierigkeiten damit. Was Berlin angeht, sind so die Eckpunkte-Themen, wie eben verpflichtetes letztes Kindergartenjahr, verpflichtende Deutschkurse. Das sind so mal ein paar Punkte, wo wir sagen, das soll auf jeden Fall auf der politischen Ebene umgesetzt werden. Da hat der Senat auch direkt die Einwirkungsmöglichkeiten. Und die Zusammenarbeit der Kulturen, der interkulturelle Dialog, auch der interreligiöse Dialog muss gefordert werden, und da ist auch das Land Berlin gefordert hier Anstöße zu geben. Und gerade bei dem Thema des interreligiösen Dialogs hat natürlich das Land Berlin große Probleme, wenn sie von „Atheisten“ regiert werden, dann haben die generell Probleme mit Religion. Wir sehen das so, dass wir sagen Religion und Staat das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, aber wir wissen, dass Religion für die Menschen einfach wichtig ist. Und deswegen muss hier auch ein Austausch stattfinden, zwischen den Religionen.

MJ: Seit zwei Jahren ist Polen EU- Mitgliedstaat und eine Erweiterung nach Osten wird nicht ausgeschlossen. Es bedeutet in ein paar Jahren wird die Ausländerzahl auch bei uns wachsen. Damit sollen wir uns nicht spontan auseinandersetzen, sondern schon jetzt darauf vorbereiten. Und welche Ratschläge, vielleicht Hinweise, würden Sie uns geben?

HK: Also erst mal würde ich mir niemals anmaßen, den Polen Ratschläge zu geben, weil ihr werdet davon eine ganze Menge kriegen. Sie können sich nur die Fehler angucken, die wir gemacht haben und versuchen sie nicht zu machen. Sie werden dafür andere Fehler machen. Und Sie können davon ausgehen, dass egal was immer Sie tun, Sie werden Fehler machen. Und Sie werden ein Problem haben mit Menschen, die nach Polen kommen. Weil Sie politisch nicht verordnen und gesetzlich nicht regeln können, was Menschen fühlen, denken und empfinden. Sie können nur versuchen, auf diese Prozesse einzuwirken. Und wenn ich Ihnen ein Rat geben kann, dann sage ich: „Sorgen Sie dafür, dass Sie zwanzig Prozent Wachstum haben und lassen Sie in dieser Wachstumsphase Menschen nach Polen einwandern und sorgen Sie dafür, dass die dann aufgrund der guten Wachstumsphase schnell integriert werden in die Gesellschaft“. Dann haben Sie nachher weniger Probleme. Die Probleme tauchen auf mit den sozialen Problemen, die ihre Landsleute haben. Die Probleme tauchen nicht auf, weil Sie Ausländer ins Land kriegen, die sich vielleicht nicht systemkonform verhalten, sondern der überwiegende Teil der Menschen, die als Ausländer nach Deutschland kommt, kommen hierher und sagen, sie wollen hier arbeiten und wollen in Ruhe gelassen werden. Es sind keine Unruhestifter oder sonst irgendwas, die gibt’s auch, aber das ist eine zu vernachlässigende Größe. Der überwiegende Teil kommt hierher und sagt, ich möchte ein besseres Leben haben als ich es vorher irgendwo anders hatte. Oder ich möchte in Ruhe gelassen werden und nicht mehr politisch verfolgt werden oder ähnliches. Wenn das Menschen sind, die eben auch nach Polen kommen, dann kommt es eben darauf an, wie gehen Sie mit ihnen um. Und entscheidende Sache wird sein, sich die gesetzliche Grundlage zu verschaffen, um zu sagen, wir regeln die Zuwanderung, wir kümmern uns um die Frage von Asyl, aber wir regeln nicht nur die gesetzliche Grundlage, sondern wir schaffen auch eine Sozialstruktur, die eben dazu führt, dass diese Menschen in die Gesellschaft integriert werden können und als Teil der Gesellschaft auch eine Chance haben. Deutschland ist im Moment noch sehr reiches Land und hat auch eigentlich keine wirklichen Probleme und trotzdem haben wir eine ganze Menge von Problemen in der Frage Integration, Immigration, die eigentlich politisch nicht erklärbar sind. Wir könnten sagen Mensch, niemand muss verhungern, nur weil nebenan ein „Türke“ oder ein „Pole“ oder ein „Ruße“ wohnt. Deshalb muss kein Deutscher verhungern. Und der Ruße, der den Arbeitsplatz kriegt, der kriegt ihn vielleicht deshalb, weil er besser ist. Und der Türke, der vielleicht bereit ist eine andere Arbeit zu machen für weniger Geld als der Deutsche, er hat deshalb Arbeit und nicht, weil der Deutsche nicht mehr gebraucht wird. Und trotzdem gibt’s eben Deutsche, die dann das Gefühl haben, der Türke nebenan hat Arbeit, der Ruße gegenüber hat Arbeit und ich habe keine. Und das werden Sie auch in Polen erleben. Sie werden auch in Polen die Situation haben, dass es Menschen gibt, die sich als Verlierer begreifen. Und die müssen aufgefangen werden. Es geht nicht nur um die Frage, wie integriere ich Ausländer in unser bestehendes Gesellschaftssystem, sondern es geht um die Frage, wie nehmen ich dabei die eigene Gesellschaft mit. Und das wird eine Herausforderung sein und da kann man sich nur angucken, was machen die Länder um einen herum, wie gehen sie damit um, ja. Frankreich galt lange Jahren als Musterbeispiel dafür, wie man mit Ausländern umgeht und wie man sie integriert. Auch Frankreich hat heute Probleme in bestimmten Regionen, weil sie bestimmte Probleme nicht gelöst haben. Machen sie ihre eigene Erfahrung, gucken sie sich die Gesetze an, schaffen Sie gesetzliche Grundlage und sorgen sie dafür, dass die Gesellschaft mitgeht. Und das wird der schwierigste Teil.

JM: Das war die letzte Frage. Wir bedanken uns bei Ihnen für dieses Interview.

Er wurde früher von den Linken, den Grünen und alternativen Gruppierungen formuliert. Heute gilt er aber als verbraucht. Im politischen Bereich kann ich mit dem Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ nicht viel anfangen. Ich sage es einfach, zur Zeit ist er eindeutig von den Parteien aus der linken Seite der politischen Szene besetzt, aber nicht im positiven Sinne besetzt. Und ich sage, wir sind eine Gesellschaft, in der verschiedene Kulturen gibt und es geht vor allem darum, dass sie zusammenleben und miteinander agieren.