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Ein Gespräch mit Frau Bilkay Öney (Grüne)


Das Gespräch im Berliner Abgeordnetenhaus vom 23. Oktober 2006

Anna Naplocha: Wir werden uns mit dem Thema "Multikulturelle Gesellschaft in Deutschland" beschäftigen. Ist das eine Utopie oder eher eine Wirklichkeit? Was verstehen Sie unter dem Begriff "multikulturelle Gesellschaft"? Ich meine, gibt es ein ideales Modell, wie sind die Eigenschaften?

Bilkay Öney: Der Begriff "multikulturelle Gesellschaft" impliziert, dass viele verschiedene Kulturen zusammen leben. Das sagt aber nichts über die Qualität dieser Gesellschaft aus. Das heißt, es sagt nichts darüber aus, ob das gut funktioniert oder schlecht. Multikulturell heißt einfach nur "viele Kulturen in einem Land", aber ob die sich gut verstehen oder nicht, dazu kann man keine Aussage machen. Das wäre dann eher Interkulturalität. Dann müsste man die Frage nach Interkulturalität stellen. Nämlich der Austausch zwischen den Kulturen - ob das funktioniert oder nicht.

A.N.: Also das wäre eher miteinander…

B.Ö.: Das ist also die Frage. Interkulturalität. In Deutschland wird das oft vermischt. Man sagt, das multikulturelle Leben sei gescheitert . Das ist aber falsch. Das Nebeneinander funktioniert. Es funktioniert immer. Gescheitert ist das Interkulturelle. Der Austausch ist gescheitert.

Sandra Schindler: Würden Sie heutiges Deutschland als Zuwanderungsland bezeichnen? B.Ö.: Nein, weil wir nämlich eine sehr restriktive Einwanderungsgesetzgebung haben. Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen Bedarf an Gastarbeitern gehabt, deswegen hat man mit verschiedenen Ländern Abkommen getroffen, über die Versendung von so genannten Gastarbeitern. Zuerst mit Italien, dann mit Spanien und Portugal und 1961 mit der Türkei. Von 1961 bis 1973 gab es eine große Welle von Zuwanderung, aber seit 1973 sind die Zahlen rückläufig. Das heißt, es gibt im Moment keine Arbeitsmigration, die gibt es nicht. Eigentlich fast gar nicht. Es gibt nur Einwanderung durch die Familienzusammen-führung, das heißt, wenn jemand heiratet. Aber auch dann sind die Regeln ziemlich streng, also es ist nicht sehr einfach nach Deutschland zu kommen, wenn man nicht aus einem EU-Land kommt. Aber Deutschland hat endlich 2005 akzeptiert, dass es ein Einwanderungsland ist. Wir haben hier eine Einwanderungsrealität. Das hat Deutschland 2005 akzeptiert und mit diesem Gesetz auch die Regeln dafür geschaffen.

A.N.: Und glauben Sie, dass es einige Konzepte, eine Strategie zur Ausländerpolitik gab oder es mehr spontan verlief?

B.Ö.: Die Idee, die dahinter steckt ist die: wir haben Einwanderung gehabt bis in die Mitte der siebziger Jahre; haben aber keine Regel aufgestellt für die, die nach Deutschland kommen. Das haben wir erst im letzten Jahr gemacht. Plötzlich standen wir hier und hatten Probleme mit dem multikulturellen Leben. Wir wussten nicht: "aha, dort gibt es Probleme mit Muslime, da wollen Frauen Kopftüchern tragen und es gibt viele Menschen, die die Sprache nicht gut sprechen, obwohl sie seit dreißig Jahren in Deutschland leben." Und da hat Deutschland gesagt: "aha, wir haben etwas versäumt, aber wir müssen es nachholen und wir müssen Regeln schaffen." Das war eigentlich eine rationale Überlegung.

A.N.: Also Realität versus Theorie. Welche Aspekte der Integration dieser Gruppen haben sich im Laufe der Zeit als problematisch erwiesen? Die, darauf Deutschland nicht vorbereitet war.

B.Ö.: Ja, das Stimmt. Die deutsche Kultur ist sehr homogen, eigentlich. Wir haben zwar Bayern, wir haben Preußen und wir haben verschiedene Volksgruppen in Deutschland, aber eigentlich sind die schon unter dem Dach - christliche Werte. Und zu diesem homogenen Kulturbegriff kamen jetzt Leute aus verschiedenen Religionen, kamen Muslime und die Leute wussten gar nicht, wie sie mit diesen Muslimen umgehen sollen. Das hat natürlich Probleme am Anfang geschaffen. Ich glaube, dass wir immer noch sehr wenig übereinander wissen, deshalb haben wir noch Vorurteile, deshalb gibt es noch Rassismus.

A.N.: Aber glauben Sie nicht, dass es in so einer gemischten Gesellschaft ein gemeinsames Fundament von Werten geben soll?

B.Ö.: Das Fundament das ist das Grundgesetz. Das sagen alle Parteien. Also, wir sind Grün und wir sind einig liberal, was die Zuwanderungspraxis angeht und Menschenrechte und Minderheitenrechte, wir sind sehr liberal. Trotzdem sagen wir, dass es Regeln geben muss, die für alle gelten. Und das ist das Grundgesetz. Alle Menschen, die das deutsche Grundgesetz achten, sind willkommen und bei den anderen müssen wir eben gucken, wie wir ihnen die Werte vermitteln. Es gibt Leute, die hier leben und die Schariat verteidigen, die islamische Gesetzgebung, aber das geht nicht, weil wir in Deutschland Regeln haben, Gesetze, die befolgt werden müssen. Andere Gesetze, extra für die Minderheiten, können wir nicht schaffen. Diese Gesetze gibt es, sie sind mehrheitsfähig, sie werden von der Mehrheit vertreten und deshalb möchten wir schon nach diesen Gesetzen leben.

S.S.: Was halten Sie von der bisherigen Integration? Ist sie gelungen oder gescheitert?

B.Ö.: Es wurde sehr viel vernachlässigt. Man hat gehofft, dass diese Gastarbeiter irgendwann wieder zurückkehren. Aber sie sind nicht zurückgekehrt. Mittlerweile leben sie sogar in der vierten Generation hier. Das heißt, man hat viele Sachen verdreht und gehofft: "Ah, wenn die Leute weggehen, werden die Probleme auch weg". Das ist aber nicht passiert. Die Menschen sind hier in vierter Generation und viele haben schon den deutschen Pass. Das heißt, wir könnten sie einfach nicht wegschicken. Sie sind hier, sie leben hier, auch diese Frauen mit Kopftüchern, die haben deutsche Pässe. Wir müssen mit ihnen leben und da haben wir leider viel versäumt. Also, in der deutschen Innenpolitik haben wir Versäumnisse gemacht.

S.S.: Und, wer ist dafür verantwortlich?

B.Ö.: Sämtliche Regierungen. Das war vorher die SPD, später die CDU; also man kann nicht sagen, diese oder diese Partei. Alle, die in Deutschland regiert haben, oder auch auf Landesebene. Das kann man nicht sagen: nur der oder nur die. Aber es ist natürlich auffällig, dass die CDU, die Christlich-Demokratische Union, sehr konservativ ist. Sie verteidigt die eigenen Werte und alles andere ablegt. Die Werte sind einfach andere. Und es kommt sehr oft im Wahlkampf - Ausländer, Migranten werden als Kampfthema benutzt. Zum Beispiel es hat uns sehr schockiert, als Oskar Lafontaine, der früher in der SPD war, ein SPD Chef, von Fremdarbeitern gesprochen hat. Er hatte ein Eindruck versucht zu erwecken, als ob Polen kommen und dann ist das deutsche Arbeitssystem kaputt. Das war natürlich falsch. Und dann schaffte er auch Ressentiment, Ängste in den Menschen. Das darf man nicht machen. Das ist sehr gefährlich. Ich glaube an die europäische Idee, ich glaube an das Dach Europa, ich glaube daran. Ich bezeichne mich selbst als Europäerin, obwohl ich türkischer Herkunft bin, aber ich lebe hier seit 35 Jahren und ich glaube an die europäische Idee, deshalb finde ich es sehr gefährlich, wenn die Nationalismen sehr stark betrieben werden.

A.N.: Glauben Sie, dass die deutsche Gesellschaft tolerant ist?

B.Ö.: In Teilen ja, in Teilen nein. Also; hin und wieder gibt es Übergriffe. Es gab sehr viele Übergriffe nach der Wiedervereinigung. Das war sehr auffällig. Viele haben gesagt: "Die Mauer ist gefallen auf die Ausländer". Früher war es so, dass Deutschen eben Menschen waren, also Bürger erster Klasse, die Ausländer - Bürger zweiter Klasse. Dann kam die Wiedervereinigung, dann kamen die Westdeutschen - Bürger erster Klasse, Ostdeutschen - Bürger zweiter Klasse und Ausländer - Bürger dritter Klasse. Das hat man schon sehr stark gespielt und auch auf dem Arbeitsmarkt. Die Vergabe von Arbeitsplätzen, die war genau in dieser Hierarchie, das war sehr interessant.

S.S.: Was kann man tun, um die Gesellschaft toleranter zu machen?

B.Ö.: Ich denke, dass symbolische Politik sehr wichtig ist. Also, was in Amerika gemacht wird, z.B. wenn man Fernseher einschaltet, dann sieht man immer ein farbiges Gesicht, z.B. sieht man einen farbigen Kommissar oder einen farbigen Richter. Das hat man in Deutschland nicht. In Deutschland hast du Filme, wo die Ausländer immer noch Drogen verkaufen oder Probleme haben, oder ihre Frauen und Kinder schlagen. Immer diese Klischees. Und das finde ich sehr Schade. In Amerika gibt es z.B. Condoleezza Rice. Und hier ist das fast unmöglich. Das wird es wahrscheinlich nie geben. Es gibt Leute mit migrantischem Hintergrund, aber ich glaube, dass nur die als integriert angesehen werden und nur die akzeptiert werden, deren Migrationshintergrund man nicht ansieht. Also, wenn ich z.B. hell wäre, blaue Augen hätte und einen christlichen Namen, dann hätte ich es leichter. Das ist so, das haben viele Soziologen festgestellt. Ich habe meine Studien gemacht und habe festgestellt: "Aha, Leute wenig auffallend, die gelten als integriert."

S.S.: Und warum finden Sie, dass die Ausländer von der deutschen Gesellschaft nicht besonders akzeptiert werden?

B.Ö.: Das hat zwei Gründe: zum einen es ist natürlich, wenn Menschen sich auffällig verhalten. Sogar in der Tierwelt ist es so: wenn du zehn schwarze Raben hast und plötzlich hast du einen weissen Raben, dann ist er ein Aussenseiter. Biologisch ist das so, dass Leute die eben irgendwie anders aussehen, anders sprechen, andere Religion haben, nicht zum gleichen Stand gehören, die werden natürlich erstmal ausgegrenzt. Und es kostet sehr viel Kraft, die Annerkennungen, Akzeptanz zu gewinnen. Aber das kann man schaffen, wenn man sich die Mühe gibt. Und da haben die Ausländer bisher wenig getan. Sie haben sich wenig Mühe gegeben. Das ist ein Problem. Die Fehler sind auf beiden Seiten zu sehen. Man kann nicht sagen: die Deutschen sind immer schon rassistisch gewesen, sondern anderen müssen sich auch bemühen und müssen sich integrieren. Wir müssen auf Leute zugehen. Die Ausländer müssen sich also auch bemühen, akzeptiert zu werden.

S.S.: Es geht also nicht nur darum, dass die Ausländer anders aussehen und anderen Glaubens sind. Es gibt wahrscheinlich andere Probleme, oder?

B.Ö.: Ja, es gibt… wie soll ich das sagen… Wir leben in wirtschaftlich ziemlich schwieriger Zeit. Die Leute haben Angst um die Arbeitsplätze und denn ist es klar, dass man zuerst an sich denkt. Oder zuerst an die eigenen Leuten denkt. Schwierig zu sagen, aber die Ängste sind hier da, diese Ängste, die eigene Kultur zu verlieren, die eigene Identität zu verlieren oder einen Job zu verlieren; also die verschiedene Ängste, die eine Rolle spielen. Ich glaube, dass wir dort noch mehr forschen müssen und dort noch mehr Projekte entwickeln müssen. Wir müssen Toleranzerziehung machen. Das passiert zu wenig und das muss schon sehr früh anfangen. Schon im Kindergarten müssen die Kinder lernen mit den andersartigen, mit Anderen umzugehen. Wir haben eine kulturelle Vielfalt, aber die Menschen können damit nicht umgehen, da müssen Politiker Konzepte entwickeln, um Regeln zu schaffen für den Umgang mit kultureller Vielfalt.

A.N.: Wäre es also eher eine Leitkultur?

B.Ö.: Das sagt die CDU, aber was ist eine Leitkultur? Es ist ein bisschen problematisch, da schotten sich Migranten ab, schotten sich Ausländer ab, und sagen: "nein, wir wollen keine Deutschen werden, wir wollen unsere Kultur behalten." Das ist sehr schwierig. Der Begriff ist falsch. Vielleicht sollte man dieser Begriff ersetzen durch irgendetwas Anderes, vielleicht durch gemeinsame Regeln. Weil, wenn man "Leitkultur" sagt, dann heißt das: "meine Kultur ist besser und deine Kultur ist schlecht." Das stimmt nicht. Vor dem lieben Gott sind wir alle gleich, der Liebe Gott hat uns alle geschaffen und deswegen ist es natürlich nicht so gut, wenn man sagt "Leitkultur". Das impliziert immer eine Kultur ist überlegen und die anderen Kulturen sind dadrunter. Und das ist nicht gut.

A.N.: Werden unter Immigranten bestimmte Präferenzen vertreten? Wie wählen die Ausländer?

B.Ö.: Ja, das ist ganz interessant. Wir haben natürlich eine sehr heterogene Gruppe. Auch unter den Türken sind die Menschen sehr heterogen; es gibt Marksisten, Nationalisten, Kommunisten, es gibt davon so viele verschiedene Gruppen allein in der türkischen Gemeinde. Aber interessant ist, das die meisten Türken, egal ob sie rechts oder links sind, egal ob sie gläubig sind oder nicht, linke Parteien wählen. Weil die linken Parteien nicht ausländerfeindlich sind. Es gibt die Studien, über 70 % der Türken wählen SPD oder Grün. Ich glaube 13 % wählen CDU, aber das sind wirklich kleine Randerscheinungen.

A.N.: Es gibt eine Hip-Hop-Band der Afrodeutschen "Advanced Chemistry" und sie singen: "kein Ausländer ist und doch ein Fremder". Finden Sie diese Wörter treffend?

B.Ö.: Ja, weil viele Jugendliche hier geboren werden, eine dunkle Hautfarbe haben, aber noch nie in Afrika waren oder noch nie in der Türkei. Die sind hier geboren, man sieht sie anders und diese werden oft diskriminiert. Und es ist natürlich sehr schwer unter diesen Umständen in eigenem Land aufzuwachsen. Es ist sehr schwer dann sich mit dem Land zu identifizieren. Du willst das gerne, du identifizierst dich, oder du definierst dich als Deutsche, aber du wirst nicht als Deutsche akzeptiert. Es gibt also Rassismus. Ich finde, dass es noch für viele dunkelhäutige, dunkelfarbige Menschen zutreffend ist.

S.S.: Aber es gibt auch die Gruppen von Ausländer, die sich nicht integrieren wollen. Und was soll man mit denen unternehmen?

B.Ö.: Ja, das stimmt. Das ist ein großes Problem. Da gibt es eine Diskussion darüber, ob man diese Leute ausweisen soll, oder ob man ihnen keinen Aufenthalt gewähren soll. Das ist schwierig, weil, wie gesagt, sogar diese Kopftuchfrauen, die vor 30 Jahren gekommen sind, haben deutsche Pässe. Die können wir einfach nicht rausschmeißen, was sollen wir jetzt machen? Wichtig ist, ein Dialog mit diesen Gruppen zu führen. Weil im Umgang miteinander kann es sein, dass sie Demokratie lernen. Diese Menschen sind nicht demokratisch erzogen. Oft kommen sie aus totalitären Ländern, aus arabischen Ländern oder auch aus der Türkei. Sie ist eigentlich sehr totalitär. Und vielleicht können sie im Umgang mit einander auch Toleranz lernen und auch Demokratie lernen. Deswegen müssen wir diese Gruppen gewinnen. Sie sind da, wir können sie nicht rausschmeißen, weil die rechtliche Situation ist die, dass diese Leute schon Deutsche sind und was können wir jetzt machen? Bei den anderen, sagt die CDU, kein Aufenthalt, aber das ist auch schwierig, weil wenn du unbegrenzten Aufenthaltstatus hast, dann bist du normal hier. Wenn du nicht straffällig wirst, wenn du nicht auffällst als krimineller Mensch, dann wirst du auch nicht weggeschickt. So war es… so schwierig.

S.S.: Und was kann die Regierung machen, um überhaupt die Ausländer besser zu integrieren? Welche Maßnahmen, Lösungen schlagen Sie vor?

B.Ö.: Ich nehme das Beispiel der Frauen mit Kopftüchern aus Anatolien: früher, wenn diese Frauen geheiratet haben und nach Deutschland gekommen sind, dann sind sie in einer Wohnung in Berlin, in Kreuzberg oder Neukölln, also in den Bezirken, wo die Ausländer sich wohl fühlen, verschwunden und wir haben sie nie wieder gesehen. Wir haben sie vielleicht in der Zeitung gesehen, wo die beschriebene Situation als Problem genommen wird, oder in den Medien, oder auf der Straße. Wenn wir sie dann gesehen haben, wir sagen: "oh, so viele Frauen mit Kopftüchern, die sich nicht integrieren." Aber sie hatten keine Zunge. Das neue Zuwanderungsgesetz sagt: "Jeder Mensch, der hierher kommt, muss an einem Einbürgerungskurs teilnehmen." Das finde ich sehr gut. Und was kann die Regierung tun? Sie kann diese Einbürgerungsangebot auf die Leute ausdehnen, die schon länger hier leben, aber auch noch nicht integriert sind oder noch kein Deutsch sprechen. Auf die sollte man auch diese Kurse ausdehnen, damit sie wenigstens wissen, wie in Deutschland das Leben funktioniert, wie die Kulturen wirklich sind. Sie kennen das jetzt nicht. Und sie müssen auch natürlich Deutsch lernen und sich wirtschaftlich integrieren.

S.S.: Und was mit denjenigen, die an diesen Kursen nicht teilnehmen wollen?

B.Ö.: Ja...aber für die gibt es eine Sanktion, wenn sie daran nicht teilnehmen, werden sie weggeschickt. Ich weiß nicht, wie das in der Praxis aussieht, weil wir diese Einbürgerungskurse seit einem Jahr haben und erst am Ende dieses Jahres werden wir sagen können, wie erfolgreich eigentlich diese Kursen sind. Ich glaube, dass 70% der, die hingehen, erfolgreich an der Kursen teilnehmen, was eine Problemgruppe von 30% bedeutet. Da muss man gucken wie die Konsequenzen aussehen, also wenn sie nicht daran teilnehmen, steht das im Gesetz, dann kriegen sie keinen Aufenthalt. Sie müssen mal gucken wie die Regierung damit umgeht, ich weiß es noch nicht. Mir ist noch kein Fall bekannt geworden, wo jemand zurückgeschickt wurde, weil er daran nicht teilnehmen wollte.

A.N.: Fühlen Sie sich als Deutsche oder haben Sie eher eine doppelte Identität?

B.Ö.: Ich glaube, dass eigentlich die Menschen viele Identitäten haben. Ja, ich bin Mensch, Frau, ich habe türkische Herkunft und jetzt bin ich Deutsche im deutschen Parlament. Ich bin Grün. Ich bin linke Grüne. Man hat schon verschiedene Identitäten, also es ist nicht einfach so: ich bin ein Produkt und muss jetzt denken wozu ich gehöre, sondern ich finde es gut, dass ich mich in 2 Kulturen ausfinden kann. Das schafft immer Wahlfreiheit - du kannst das immer auswählen, weil es die Tage gibt , wenn ich denke: "Oh! Die blöden Türken" und gibt es auch Tage wenn denke ich: "Oh! Die rassistischen Deutschen" Also ganz unterschiedlich.

A.N.: Sie glauben also, es ist möglich eine doppelte Identität zu haben?

B.Ö.: Ja, das ist möglich und ich finde es nicht schlimm. Ganz ehrlich zu sein, zB. Meine Familie hat iranische Herkunft, ist aber in die Türkei ausgewandert und ich bin türkisch geboren, jetzt bin ich nach Deutschland gekommen. Jetzt bin ich eine Deutsche, man kann es schaffen. Das ist sicher nicht unmöglich. Ich glaube sowieso, dass Frauen viel flexibler als Männer sind. Ich glaube wirklich, dass Frauen viel anpassungsfähiger sind. Wir können jetzt eine von dieser Frauen nach Südpol schicken und sie würde trotzdem das Ordnung schaffen, Kindern kriegen. Frauen haben nicht so viele Probleme damit, glaube ich...

A.N.: Und wenn es um Polen geht. Wir sind schon seit 2 Jahren ein EU-Mitgliedstaat und eine Erweiterung nach Osten ist nicht ausgeschlossen, was bedeutet, dass in einigen Jahren auch Polen ein Zuwanderungsland sein kann, vor allem was die Zuwanderung aus dem Osten betrifft.

B.Ö.: Was meinen Sie, Rumänien und Bulgarien? Die Frage ist, welche Ratschläge und Hinweise würden Sie uns geben, damit wir uns darauf vorbereiten können?

A.N.: Ja, aber eher Ukraine.

B.Ö.: Auf jeden Fall Sprach- und Bildungskurse, aber das ist sehr schwierig. Das Problem ist: wenn das ein EU - Bürger ist, dann geht es um andere Regeln. Das finde ich ganz schwierig, weiß es nicht. Meinen Sie, dass sie erst EU-Bürger werden sollen und dann nach Polen kommen, oder? Weil die Ukraine kein EU-Land ist.

A.N.: Ich meinte auch im Rahmen der EU. Aber die Wahrheit ist, obwohl die Ukraine oder Russland keine EU - Länder sind, kommen von dort immer mehr Leute nach Polen. Das bedeutet auch, dass Polen als Zuwanderungsland attraktiver geworden ist.

B.Ö.: Ich dachte Deutschland ist attraktiv.

A.N.: Sicher, besonders vor ein paar Jahren war es so. Eine Menge von Polen sind nach Deutschland gegangen. Und jetzt fahren sie nach England, um eine besser bezahlte Arbeit zu finden. Aber in der Zukunft kann eine ähnliche Situation auch in Polen sein, im Sinne, dass es ein Zuwanderungsland werden kann.

B.Ö.: Ah... also ich finde das, was Holland erst erklärt hat, diese Einbürgerungskurse… wir haben das auch von Holland übernommen. Man sollte sich an die Länder orientieren, die eine Einwanderungsgeschichte haben und in denen Einwanderung kein großes Problem war oder wo, einfach zu sagen, die Einwanderung gelungen ist. Das ist im Europa Holland. Kanada ist auch ein gutes Beispiel, wo viele Kulturen zusammenleben und Einwanderung nicht als Gefahr behandelt ist, sondern eher gelungen ist. Also man sollte sich an gute Beispiele orientieren. Ich würde jetzt mich an Deutschland nicht unbedingt orientieren , weil Deutschland in dieser Geschichte auch im Kinderschuh steckt, Deutschland lernt erst auch das jetzt. Wenn ich über die Länder sage, die aus historischer Sicht schon immer Einwanderungsländer waren, dann denke ich an Kolonialländer, Amerika, daran sollte sich vielleicht Polen orientieren. Auch was sehr wichtig ist, sind die strengen und klaren Regeln, was am Ende so aussieht- wem es gefällt und wird die Regelen beachten, der kommt und bleibt, wer das nicht machen will - gut. Das müssen sie noch gucken. Wenn man einen Druck schon am Anfang einleitet, immer ganz klar sagt wie die Regeln sind, dann sollte man keine Angst dabei haben. Dann funktioniert es alles, glaube ich, oder? Weil wenn es um die kulturellen Unterschiede geht, dann ist es nicht so extrem wie die Arabern und Deutschen, wo das einfach ein anderes Kontinent ist, mit seinen Traditionen usw. Also wenn die Leute aus der Ukraine oder aus Russland kommen, dann bleibt es wenigstens in demselben Kulturekreis.

Katarzyna Gelles: Aber auch mental haben die Frauen bessere Adaptationfähigkeit als die Männer. Die Araber haben z. B. ganz andere Werte, also das kann potenzielle Probleme schaffen. Diese Leute bringen hier die ganze Familie mit, erziehen ihre Kindern... das machen eben die Frauen, also mit ihnen soll man mehr reden. Natürlich oft ist es so, dass die Frauen abhängig von ihren Männern sind und in der Praxis ist der wer entscheidet, der Mann.

B.Ö.: Ja, das stimmt. Aber ich sage, durch diese Zuwanderungskurse oder diese Einbürgerungskurse…. diese Frauen müssen an diesen Kursen teilnehmen und dann lernen sie das, sie werden demokratiesiert, glaube ich. Und deswegen soll man das durch Zwang machen, wenn sie nicht kommen ,dann werden sie weggeschickt. Also dann, glaube ich, das funktioniert schon.

K.G.: Aber dann wird man sagen, dass Deutschland undemokratisch ist und was kann man eigentlich machen?

B.Ö.: Ich sehe die Situation ganz einfach. Wir haben Zuwanderungsgesetz. Das sind die Konsequenzen für die Leute, die dieses Recht nicht beachten. Wenn du das willst - gut, aber wenn du das nicht akzepiert, dann muss du auch nicht nach Deutschland kommen. Das sagen die Regeln, die sind von der Mehrheit der Gesellschaft gestellt. Wir müssen das so machen, weil früher wir das ganz anders gemacht haben und es war nicht gut, einfach gescheitert, also jetzt das ist, was wollen wir einsetzen und werden wir gucken wie das am Ende funktioniert.

A.N.: Also die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland würden Sie als Tatsache, Realität betrachten?

B.Ö.: Ja natürlich. Ich meine, die Leute sind schon da. Wir haben in Deutschland Leute die aus 148 Ländern kommen und damit umzugehen muss man sehr pragmatisch sein. Die Amerikaner sind sehr pragmatisch, also man darf sich nicht emotionell in die Sache engagieren, das hilft nicht, dann landet man bei der Leitkultur. Die Leute gehen nicht weg, sie sind hier, wohnen hier und bleiben hier. Sie haben hier Familien, ziehen die Kinder groß... . Jetzt müssen wir gucken, wie wir damit umgehen, auch bei den Regeln konsequent und hart bleiben. Ich kann euch etwas mehr sagen. Die Grünen im Bundestag haben ein ganz interessantes Integrationskonzept vorbereitet, das sich an dem Rousseaus Gedanke von den Staatsverträgen orientiert, also dass die Mehrheit der Gesellschaft auch mit den Minderheiten einen symbolischen Vertrag abschließt. Das finde ich ganz praktisch, weil dieses Papier auch sagt, was wir wollen. Und das ist, dass die Leute eine Arbeit finden und sich politisch und gesellschaftlich integrieren. Integration ist nicht nur das Problem der Sprache. Die Sprache ist der Schlüssel, das wissen wir schon, aber es gibt auch andere Dinge, die man auch machen muss.

S.S.: CIch möchte noch nach der Gewalt unter den Ausländer fragen.

B.Ö.: Ja, es gibt die Banden von Kriminalität.

S.S.: Ja, aber ich möchte eher wissen, warum, denken Sie, gibt es mehr solche Banden unter Ausländern als unter Deutschen?

B.Ö.: Unter Deutschen gibt es auch Banden, zB. Rocker oder Nazis, die schlagen sich mit den Linken. Im kriminellen Milieu kenne ich mich leider nicht so gut aus, aber ich weiß, z. B. die Ausländer konzentrieren sich auf Autohandel oder Prostitution und Drogen… solche Sachen. Da gibt es Rivalitätskämpfe, wenn sich eine Bande in eine andere einzumischen versucht. Die arabischen Gruppen sind für die Geschäfte mit Drogen und Prostitution bekannt, und die slavischen Gruppen für den Autohandel, sie wollen natürlich die Kontrolle nicht verlieren oder abgeben. Es kommt zu diesen Bandenrivalität nicht, weil z. B. die Polen und Araber sich hassen, nachbarschaftlich leben sie ganz normal, sie hassen sich nicht. Ich glaube, es gibt mehr Freundschaften zwischen Ausländern, sie kommen viel häufiger vor als die zwischen Deutschen, z. B. die beste Freundin meiner Schwester ist eine Polin, sie heißt Izabela, meine beste Freundin war eine Kroatin. Also wirklich, es gibt gute Freudschaften und es ist nicht so, dass die Leute sich hassen und bekriegen. Diese kriminellen Geschichten kenne ich nicht so gut.

A.N.: Ok, Vielen Dank fürs Gespräch und für Ihre Zeit.

B.Ö.: Gerne. Viel Erfolg, das hat mich sehr gefallen. Die Fragen waren sehr intelligent, also danke.

A.N.: Also nicht nür für uns, aber auch großen dank an unsere Doktoren.

Dr K.G.: Sie sind auch eine besondere Person, um dieses Thema zu behandeln, weil Sie diese zwei Mentalitäten und Kulturen drin haben. Nach der Wiedervereinigung hat sich auch viel verändert. Wenn man z.B. Ossis nach diesem Thema fragen würde, würden die Antworten ganz anders aussehen. In der DDR war es eigentlich so, dass die Leute keine Kontakte mit der anderen Welt gehabt haben. Ich habe z. B. viele junge Leute aus der ehemaligen DDR getroffen, die sagten, dass die Polen, allgemein Ausländer, ihnen die Arbeit geklaut haben. Also sie denken: wir brauchen Arbeit und müssen sie sofort bekommen.

B.Ö.: Bestimmt. Ausserdem gibt es generell eine strukturelle Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, das Gesetz sagt : Arbeit zuerst an Deutsche, dann an die EU-Bürger und viel später, an der dritten Stelle, diejenige, die nicht aus EU-Ländern kommen.

A.N.: Nochmals schönen Dank.